Neue Perspektiven
Hat mein innerer Schweinehund recht, musste ich mich gestern ernsthaft fragen. An manchen Tagen ist eben alles anders! Gestern also hatte ich einen tollen Tag. Alles lief wie am Schnürchen. Wie immer bin ich früh raus aus den Federn. Gernot, mein innerer Schweinehund, ließ sich nicht blicken. Meine Morgenrituale habe ich mit größter Zufriedenheit genutzt, um mich auf einen wunderbaren Tag einzustimmen. Und so kam es dann auch: Ich hatte tolle Gespräche, erledigte viele Aufgaben und war so richtig gut im Flow.
Was für ein Tag!
Am Abend, ich hatte wohl schon so zehn produktive Stunden hinter mir, war ich eigentlich ganz euphorisch. Jetzt noch zwei Stunden und ich hätte das Meeting mit meinem langjährigen Kunden, das Anfang nächster Woche stattfindet, perfekt vorbereitet. Ich massiere mir kurz die Schläfen, will die zart aufkeimende Müdigkeit vertreiben – und schon kommt Gernot hereinspaziert. Hallo, sagt er freundlich und nickt mir entspannt zu. Hallo, sage ich ebenfalls und verdrehe innerlich die Augen. Was will er denn nun schon wieder? Es läuft doch gerade alles so super! Na ja, ich hatte schon auch überlegt, ein kleines Päuschen zu machen. Aber den Flow will ich jetzt ausnutzen. So einen fantastischen Tag sollte man nicht zu früh beenden!
Fängt er schon wieder an?
Sie kennen Gernot ja schon, nicht wahr? Dann können Sie sich ja vorstellen, was er jetzt für eine Show abgezogen hat. Tee hat er mit gebracht, die Sofakissen aufgeschüttelt. Dabei möchte ich doch nur die Energie nutzen, die mich so produktiv durch den Tag getragen hat: „Gernot, es tut mir leid, aber heute läuft es so gut, da mache ich noch ein, zwei Stunden weiter. Du hast ja wohl nichts dagegen, dass ich den Schwung mal so richtig ausnutze, oder?“ Sie glauben nicht, was er darauf erwidert! „Wenn es am schönsten ist, soll man aufhören. Du hast jetzt Feierabend. Schau dir einen Krimi an, lies ein wenig und iss was Feines. Aber erst mal leg dich ein halbes Stündchen aufs Sofa. Du hast jetzt PAUSE!“ Ich stand kurz davor, mit Schnappatmung umzukippen. Pause? Doch schon spricht Gernot weiter sanft auf mich ein, nimmt meinen Arm und führt mich zum Sofa. Ich sinke in die Kissen, lege die Beine hoch und lasse den Tag an meinem inneren Auge vorbeiziehen.
Und? Hat mein innerer Schweinehund recht?
Was soll ich sagen … ich war kurz darauf eingeschlafen und als ich wieder wach wurde, war ich recht zufrieden mit mir und meinem Tag. Ich schaute auf einen Tag zurück, der mir so viel gegeben hatte, dass ich wirklich zufrieden war. Gernot hatte sich wieder verkrümelt. Wer weiß, was der schon wieder trieb … Aber ich saß da und fragte mich: Hat mein innerer Schweinehund recht? Ist es manchmal gar nicht verkehrt, wenn man auf ihn hört und sich nicht immer zu Höchstleistungen zwingt? Oft ist es ja unvermeidlich, dass ich Gernot in seine Schranken weise. Doch künftig werde ich ab und an mal darüber nachdenken, ob er mich nicht doch auf meine ganz persönlichen Bedürfnisse hinweist. Vielleicht auf mein Bedürfnis nach Ruhe, nach Pausen, nach Erholung?